Siebter Tag – Von Lille nach Authieule

Start 10:00 / Ende 20:00 / Strecke 89 + 13 km

Zweifel

Mitten in der Nacht bin ich wach geworden. Keine Ahnung weshalb. Ein Geräusch kann es nicht gewesen sein. Das Hotel war sehr still.
Sofort drehten sich meine Gedanken um den kommenden Tag. Es wird sehr heiß werden. Meteo france meint 34 Grad. Totaler Schwachsinn bei den Temperaturen zu fahren, oder ? Ich bin zu müde um weiter darüber nachzudenken und schlafe bis acht Uhr unruhig weiter. Es hilft nichts, ich muss los. Im Hotel bleiben ist keine Option. Alle im Zimmer verstreuten Sachen müssen wieder verstaut werden. Beinahe hätte ich die neue Kappe liegen lassen. Nur weil ich den Fahrradhelm vergessen habe, bin ich nochmal zurück ins Zimmer gegangen.

Eine Idee

Das Reise Rad habe ich in der Hotellobby vor den staunenden Mitarbeiter und Gästen startklar gemacht. Wie passt das alles aufs Rad ? Und wie schwer ist es ? Die Fragen konnte ich gut beantworten..

Danach habe ich bei „Paul“ zwei Kaffee getrunken, Croissants gefrühstückt und überlegt, wie ich diesen Tag gestalte.
Die rettende Idee war, in Arras ein Hotel zu nehmen, falls ich in der Hitze schlapp machen sollte. Eine gute Idee. Ich war beruhigt. Die beiden Schreckmomente in Hasselt (Abbruch nach 54 km) und Aalst habe ich in lebhafter Erinnerung. So war also der neue Plan. Mit zwei doppelten Espresso im Bauch ging es endlich gemütlich los.

Raus aus Lille

Die Streckenführung war im Detail anspruchsvoll. Die Abzweigungen hätte ich fast übersehen, so klein waren die Wege. Ich glaube, dass selbst die Einheimischen diese Abkürzungen nicht kennen. Egal, größere Umwege blieben mir erspart. Hauptsache raus und weiter kommen.

– Lille – Ausfallstraße –
– Lille – Einkaufszentrum im Speckgürtel –

Am Kanal „De la Deule“

Nach 10 Kilometern, kurz hinter Emmerin bog die Route zum Canal de la Deule ab. Gute 20 Kilometer radelte ich mal auf der rechten, mal auf der linke Seite am Wasser entlang. Mal mit Sonne, mal im Schatten. Ein sehr schöner Weg am Kanal.

– Canal de la Deule –

Ab und zu kam mir eine Schiff entgegen oder ich habe eins überholt. In Pont-a-Vendin musste ich mich von dem beschaulichen Anblick trennen.

Lens – Starker Kaffee

Noch zehn Kilometer bis zur Kaffeepause. Bis nach Lens mussten einige Höhenmeter gefahren werden.

– Dorfstraße –

Durch kleine Dörfer, deren Architektur, aus der Zeit als hier noch Kohle abgebaut wurde, mich total fasziniert hat.
Mitten im Ort habe ich eine Bar gefunden, bei der ich sehr zuvorkommend mit extra starkem Kaffee versorgt wurde. So allmählich komme ich in Fahrt und die Zweifel aus der Nacht kommen mir völlig unerklärlich vor. Läuft doch !
Das bepackte Reise Rad bietet meistens genug Gesprächsstoff und ich fange an mein eingerostetes Französisch auszubessern. Gerne hätte ich mehr über den Ort und die Gegend aus erster Hand erfahren, aber dafür ist mein Vokabular zu dünn.

Kriegsdenkmal

Alles, was ich bisher an Steigungen hochgefahren bin wurde jetzt in en Schatten gestellt. Die Route führte den Mont de Givenchy hoch. Wer denkt sich so eine Strecke aus ? Auf die Höhenmeter habe ich bei der Planung nicht geguckt.
50 Kilometern von Lille entfernt ist die Steigung irgendwann überwunden. Oben angekommen sehe ich ein monumentales Kanadisch / Französisches Kriegsdenkmal (Monument Commemoratif du Canada a Vimy).

– Kriegsdenkmal VIMY –


Im ersten Weltkrieg standen hier 4 Divisionen aus Kanada den deutschen Truppen gegenüber. Der Boden in den umliegenden Wäldern ist von Bombenkratern übersät.

– Bombenkrater –

Schrecklich. So viele Tote. Wie immer fehlen mir dafür die Worte. Beklommen fahre ich weiter.

Arras oder nicht Arras

Nach Arras hinein ging die Strecke bergab. Leider auf einem Radweg, der durch tiefe Rinnen an jedem Haus unterbrochen wurde. Schön langsam fahren. In der Ortsmitte knickte die Route im 90 Grad Winkel ab. Natürlich den Berg hoch. Die Idee mit der Übernachtung in Arras hatte ich wohl schon abgehakt. Ich radelte weiter.

Endlose Felder

Hinter Arras geht es auf einer alten Bahnstrecke in etwa parallel zur N25 weiter bis Saulcy.

– Alte Bahnstrecke –

Scheinbar endlos geht es durch die Felder. Mir gefällt der weite Blick.

– Felder – Hauts de France –
– Felder 2 – Hauts de France –

Selbst Strommasten sind nicht zu sehen. Felder, soweit das Auge reicht.

Camping La Killienne

Was ich heute morgen nicht geglaubt habe ist geschafft. Nach 88 Kilometern bin ich am Camping „La Killienne“ in Warlincort les pas angekommen. Trotz der Hitze. Muss an dem Tag Pause in Lille liegen. Meine Freude ist groß. Gleich Zelt aufbauen und duschen !
Der Mann an der Rezeption erklärt mir, dass leider Gäste mit Zelt auf dem Platz keine Unterkunft finden können. Das geht nur, wenn der Camper Toilette und Dusche mitbringt. Der Platz selbst habe solche Einrichtungen nicht. Habe ich mich verhört ? Da steht ein dickes Hinweisschild mit einem Zelt drauf an der Straße. Nein, er meint es ernst. Nur Wohnmobile oder nicht mobile Wohnmobile ? usw..

Mich trifft fast der Schlag. Ich bin wirklich durch und kann es nicht glauben. Der Mann im rosa Hemd ist so hilfsbereit und nennt mir einen Campingplatz in der Nähe.

Es nützt nichts. Aufregen verbraucht zu viel Energie. Auf der Webseite des Camping steht mit keiner Silbe, dass nur Gäste mit eigener Sanitäranlage zugelassen sind. Unglaublich !

Camping Au Bord de L’Authie

Nochmal in den Sattel. 13 Kilometer etwa. Natürlich geht es wieder auf- und ab. Mir fällt ein Stein vom Herz, als ich den Campingplatz „Au Bord de L’Authie“ gefunden habe und dort mein Zelt aufbauen kann. Völlig unkompliziert. Zahlen erst morgen.
Was für ein Tag. Einhundert Kilometer geradelt. So eine lange Strecke mit vielen Steigungen habe ich lange nicht mehr bewältigt.